„Kind als Schaden“
„Kind als Schaden“
Judikaturwende – Anlass zur Gesetzesänderung?
Unter dem verkürzten Begriff des Kindes als Schaden werden gemeinhin zwei verschiedene Fallkonstellationen unterschieden, welche vom Obersten Gerichtshof (OGH) bislang unterschiedlich behandelt wurden.
1. Wrongful Conception
Unter dem Begriff der „Wrongful Conception“ wird die Geltendmachung eines Schadenersatzanspruches gegen einen Arzt wegen fehlgeschlagener empfängnisverhütender Maßnahmen (z.B. misslungene Sterilisation, Eileiterunterbindung) verstanden. Gestützt auf die Argumentation, durch die Geburt des unerwünschten Kindes sei ihnen ein Schaden in Form des Unterhaltsaufwands entstanden, machen Eltern einen Schadenersatzanspruch gegenüber dem behandelnden Arzt geltend. Der Oberste Gerichtshof vertrat bislang die Auffassung, dass die Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes keinen Schaden im Rechtssinn darstelle. Ein Schadenersatzanspruch gegen den Arzt bestehe nicht.
Diese Auffassung wurde bis vor Kurzem vom OGH auch im Falle der Geltendmachung eines Produkthaftungsanspruchs gegen den Hersteller eines empfängnisverhütenden Medizinprodukts (Spirale) vertreten.
2. Wrongful Birth
In den Fällen von „Wrongful Birth“ geht es um die Fallkonstellation, dass infolge fehlerhafter pränataler Diagnose eines Arztes die Behinderung eines Kindes nicht erkannt wird. Eltern machen in diesem Zusammenhang einen Schadenersatzanspruch gegen den behandelnden Arzt mit der Argumentation geltend, wären sie von ihm richtig aufgeklärt worden, so hätten sie eine Abtreibung vorgenommen. Durch die fehlerhafte Aufklärung sei ihnen ein Schaden in Form des Unterhaltsaufwands entstanden. Der OGH bejahte bislang in seiner Judikatur in derartigen Fällen einen Schadenersatzanspruch, wobei er den Eltern den gesamten Unterhaltsaufwand – also nicht nur den behinderungsbedingten Mehraufwand – zusprach.
Judikaturwende
In einer jüngst ergangenen Entscheidung des OGH vom 21.11.2023, 3 Ob 9/23d, hat nunmehr das Höchstgericht eine bemerkenswerte Judikaturwende vorgenommen. Die bisherige Unterscheidung zwischen „Wrongful Birth“ und „Wronful Conception“ wurde aufgegeben. Ebenso wurde die Auffassung, die Geburt eines gesunden (wenn auch nicht gewollten) Kindes könne keinen Schaden im Rechtssinn darstellen, fallen gelassen. Das Höchstgericht betont, dass zwar die Geburt (Existenz) eines nicht gewollten Kindes für sich allein keinen Schaden im Rechtssinn darstelle, wohl aber der aus seiner Geburt resultierende finanzielle Aufwand.
Rechtsethisch betrachtet bleibt freilich die Frage offen, ob man die Geburt eines Kindes und den damit einhergehenden Unterhaltsaufwand in dieser Form trennen kann, bildet doch die Existenz eines Kindes eine unerlässliche Voraussetzung (conditio sine qua non) für den Schadenersatzanspruch. Hier wäre der Gesetzgeber gefragt.









